mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Gothic Magazine 67/2010', Interviewer:'Julia Beyer', about: 'R.E.T.R.O', Date: 2010-04-01
 
Link: Gothic Magazine 67/2010
 
8 Bit sind genug!

Der Commodore 64, auch liebevoll 'Brotkasten' genannt, der 1982 das Licht der Welt erblickte und mit einem Arbeitsspeicher von sagenhaften 64 Kilobyte damals der erste wirklich erschwingliche Heimcomputer war, ist bis heute der meistverkaufte der Welt und sorgte damals für unzählige im Kinderzimmer vor dem flackernden Bildschirm verdaddelten Stunden. Zu dieser Generation gehören ganz eindeutig auch STEFAN POISS und MARKUS HADWIGER von MIND.IN.A.BOX, die sich mit ihren bisherigen drei Alben eine ansehnliche Reputation im Electro-Bereich schaffen konnten. Nachdem sich die Band inhaltlich bislang einer umfangreichen fiktiven Geschichte widmete, kehren sie nun zu ihren ganz frühen musikalischen Wurzeln zurück und huldigen auf ihrem neuen Werk 'R.E.T.R.O' den Hymnen von C64-Spielen wie 'Last Ninja 3' oder 'Lightforce'. Denn auch die Sounds, die man mit diesem Gerät erzeugen konnte, sind bis heute legendär, und Bands wie WELLE:ERDBALL oder das APOPTYGMA BERZERK-Nebenprojekt FAIRLIGHT CHILDREN bedienen sich ausgiebig der blubbernden und fiepsigen Klänge. Die bei den Österreicher sprachen aus diesem Anlass gern mit uns über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
 
Wie seid ihr ursprünglich überhaupt auf die Idee gekommen, eurer Liebe zu alten C64-Spielklassikern, beziehungsweise deren Musik, ein ganzes Album zu widmen?
Stefan: Ein paar Monate nach dem Crossroads Release hörte ich mir wieder einmal alte Commodore 64 Musik an, und danach musste ich einfach einen Remix von einem meiner Alltime C64 Favorites, dem Track 'Last Ninja 3' machen. Ich arbeitete an diesem Mix und fühlte, dass mich diese alten Tracks noch immer so stark berührten. Es war eine Art musikalische Vergangenheitsbewältigung , mich diesen alten Tracks quasi zu stellen und den großartigen Künstlern von damals meinen Respekt zu zollen. So hat alles begonnen. Ich machte dann ein weiteres Cover von dem Track 'Lightforce', und spätestens als Markus und ich im Wiener Lokal 'Tunnel' saßen und Ideen für einen Song über die 'Giana Sisters' austauschten, wußte ich, dass wir ein komplettes Album machen mußten. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings nicht klar, dass wir dieses Album auch wirklich später unter mind.in.a.box veröffentlichen würden.
 
Bei dem Konzept eures neues Albums stellt sich natürlich auch die Frage: Habt ihr zumindest Teile des Albums auch auf dem 'Brotkasten' mit eurer Software MFD komponiert oder dann doch Plug-Ins (wie z.B. 'QuadraSID') benutzt?
Stefan: Nein, ich habe nur Hightech Equipment verwendet ;) Schließlich wollte ich diese alten Tracks quasi entstauben und sie in ein modernes Gewand verpacken.
Markus: Unser MFD Sequencer ist erst später auf dem PC entstanden, also nach unseren ersten, sehr bescheidenen Versuchen auf dem C64. Wir hatten aber viele Anleihen von typischen Effekten aus C64 Musik genommen, z.B. die Möglichkeit sehr flexibel Arpeggios zu programmieren. Das sind schnelle Tonfolgen, die oft Akkorde ersetzen sollten, aber im Endeffekt sehr stark das typische Klangbild von C64 Musik prägen. Stev hat aber noch für Songs von unseren Alben 'Lost Alone' und 'Dreamweb' unseren MFD verwendet, mittlerweile ist die aber Software in ihren wohlverdienten Ruhestand getreten :)
 
Im Booklet des Albums ist zu lesen, dass das Komponieren auf dem C64 ein komplett anderer Vorgang war, als es das jetzt ist, da beispielsweise keine Tastatur vorhanden war und die Noten quasi einzeln eingetippt werden mussten. Ist, beziehungsweise war es für euch nicht schwierig, die Musik so zu schreiben, da ja hier wenig durch 'ausprobieren' neuer Melodien stattfindet? Oder 'schult' einen so eine Vorgehensweise gewissermaßen vielleicht sogar als Musiker?
Stefan: In der Tat, wenn du kein Keyboard hast ist das Komponieren ein komplett anderer Vorgang. Für mich bedeutet das auch, dass du dadurch viel mehr auf die Melodien in deinem Kopf hören mußt. Ich denke aber, viele Komponisten, auch aus der C64 Zeit, spielten Melodien zuerst auf einem Instrument bevor sie sie in den Computer eingaben. Ich habe aber oft auch Ideen für Melodien die man gar nicht so ohne weiteres spielen könnte, und ich finde elektronische Musik sollte man nicht eingrenzen. Gerade das finde ich essenziell für elektronische Musik. Sie bedeutet für mich nicht nur synthetische Klangerzeugung, sondern beinhaltet eben auch eine andere Arbeitsweise beim Komponieren. Du bist an nichts gebunden und kannst, gerade heute, wo es quasi keine technischen Begrenzugen gibt, alles machen was dir einfällt.
 
An diesen Melodien zu arbeiten, die euch in eurer Jugend lange Zeit begleitet haben, muss für euch doch stellenweise einer kleinen Zeitreise gleichgekommen sein. Wie habt ihr euch dabei gefühlt, als ihr die Melodien eurer Lieblingsspiele wieder habt aufleben lassen?
Stefan: Es war ein tolles Gefühl, und ich bin extrem froh, dass wir dieses Album zu Stande gebracht haben. Auch ein großes Kompliment an Stefan Herwig, unserem Labelboss, der sich traute dieses Album zu veröffentlichen. Es bedeutet mir wirklich sehr viel, diese Melodien meiner Kindheit neu aufzuarbeiten und den großartigen Künstlern von damals Tribut zu zollen. Sie waren für mich die Helden der elektronischen Musik.
Markus: Es war ein ziemlicher Nostalgietrip für uns, das war grossartig. Und obwohl ich auch die Originale noch immer sehr gerne höre, geht nichts über eine druckvolle, zeitgemäße Umsetzung. Mit heutigen Mitteln ist es viel besser möglich, zu zeigen, was in diesen alten genialen Melodien steckt.
 
Habt ihr bezüglich der neuen Versionen auch Kontakt mit den Komponisten der Ursprungsstücke aufgenommen und gegebenenfalls auch Reaktionen von ihnen auf eure Neuinterpretationen bekommen?
Stefan: Nein leider, ich kenne keinen von ihnen persönlich. Wir hatten das kurz mal überlegt, aber wir hätten nicht alle von ihnen rechtzeitig erreichen können. Ich hoffe wir können ihnen unser Album schicken, und es würde mich sehr freuen wenn es ihnen gefällt. Mit einem Kauf von R.E.T.R.O unterstützt ihr übrigens auch die Originalinterpreten der C64 Songs, da die Kompositionen ja schließlich von Ihnen lizensiert wurden.
 
Bei eurer Version von 'The Last V8' habt ihr selbst noch Vocals hinzugefügt, die im Original nicht zu finden sind – wie seid ihr darauf gekommen?
Stefan: Dieser Song war schwierig umzusetzen. Das Original beginnt extrem cool, aber driftet dann etwas in eine andere Richtung ab. Meine oberste Priorität bei allen Covers war aber, dass sie cool klingen mussten. Ich wollte ihre Grundbausteine belassen, aber manches mußte ich austauschen, damit die Tracks nicht zu verspielt klingen. Markus bastelte dann zu 'The Last V8' einen witzigen Text dazu, den man besser verstehen wird, wenn man sich das Spielecover dazu ansieht. Schlußendlich ist 'The Last V8' einer meiner Lieblingstrack auf R.E.T.R.O geworden. Ich hofffe 'Rob Hubbard' nimmt uns diese Veränderungen nicht übel :)
 
Ihr habt auch selbst damals ein Computerspiel für den C64 namens 'Parsec' geschrieben und hierzu Musik komponiert – hier stammt das Stück 'Mindkiller' her. Wurde das Spiel jemals fertig gestellt und könnt ihr ein bisschen dazu erzählen, worum es in dem Spiel geht?
Stefan: Parsec war nicht mehr auf dem C64, sondern schon einiges später auf dem PC. Aber ich wollte zumindest einen meiner alten Parsec Tracks auf unserem Album haben. In Summe ist das jetzt auch schon sehr lange her, und man kann das durchaus auch als Retro bezeichnen. Mindkiller war einer meiner Favorites damals. Ich hoffe, dass sich der ein oder andere Parsec Fan von damals darüber freuen wird.
Parsec war ein Netzwerk 3D- Weltraumshooter. Falls jemand das alte Spiel 'Netwars' kennt, das Konzept von Parsec war so ähnlich, wenngleich doch erheblich aufwendiger und schöner gestaltet.
Markus: Ein Ziel von Parsec war immer, zu zeigen, welchen Qualitätslevel man in einem komplett nicht-kommerziellen Spiele-Projekt erreichen kann. Vor allem was Technik, Grafik und eben natürlich Musik betrifft. Ich denke, das ist uns recht gut gelungen. Wir hatten eine spielbare Version für LAN-Partys veröffentlicht, die sehr gut ankam. Der Plan, Parsec auch komplett im Internet spielbar zu machen ist irgendwann aus Zeitmangel gescheitert. Es war aber trotzdem ein sehr erfolgreiches und wichtiges Projekt für uns.
 
Auf eurem Album huldigt ihr ja quasi den 'guten alten Zeiten', bei dem letzten Song 'Whatever mattered' auf dem Album allerdings singt ihr dann wieder 'Living in the past has never worked for me' und auch der Titel 'We Cannot Go Back The Past' geht inhaltlich in diese Richtung. Seht ihr darin nicht einen gewissen Widerspruch?
Markus: Ja, das ist natürlich ein Widerspruch, und das wollten wir auch thematisieren. Es gibt sicher einige Leute, die ein bisschen in der Vergangenheit hängen geblieben sind. Andererseits ist es auch für uns wichtig, einen guten Mittelweg zwischen Nostalgie, die wir auch total geniessen, und dem Leben in der Gegenwart zu finden. Also ich denke, es ist in Ordnung, etwas gespalten zu sein, zwischen dem Wunsch zu einer vergangenen Zeit zurück gehen zu können und sich auf der anderen Seite aber problemlos damit abzufinden, dass das natürlich nicht geht. Diese Art Vergangenheitsbewältigung bzw. Perspektive ist generell auch ein wichtiger Teil unserer mind.in.a.box Alben. Das erzeugt bei mir eine wunderbare Melancholie.
 
Liest man sich die erklärenden Texte im Booklet des neuen Album durch, bekommt man einen guten Eindruck davon, wie wichtig das Gerät für euch war und eure musikalische Entwicklung. Würde es mind.in.a.box in dieser Form überhaupt geben, wenn ihr, statt vor dem C64 zu hocken, vielleicht mal öfter zum Spielen nach draußen gegangen wärt?
Stefan: Oh, ich war viel draußen. Ich spielte als Kind sehr viel Fußball und war eine ziemliche Sportskanone ;) Aber du hast schon recht, ohne diesen Enthusiasmus, den wir der Musik auf dem C64 entgegenbrachten, würde es mind.in.a.box wohl nicht geben. Andererseits würde es mind.in.a.box wahrscheinlich auch nicht geben, wenn wir weiterhin an Spieleprojekten wie Parsec gearbeitet hätten. Im Prinzip war das alles ein gewaltiger Zufall.
Markus: Sobald der C64 im Haus war, war ich nicht mehr so viel draussen ;) Aber ja, ganz wie du sagst hatte das durchaus echte Vorteile.
 
Auf euren Alben habt ihr auf einem Großteil der Vocals Vocoder-Effekte, die mittlerweile sogar schon zu so etwas wie eurem Markenzeichen geworden sind. Allerdings habt ihr auch einige Stücke mit unbearbeitetem Gesang, wie zum Beispiel 'Whatever Mattered' auf eurem aktuellen Album. Wie entscheidet ihr, wann ihr die Vocals mit dem Vocoder bearbeitet und wann nicht?
Stefan: Die Songs '8 Bits' und 'I Love 64' haben ja mit dem Spiel Giana Sisters zu tun, in dem Giana so eine kleine Spielfigur mit gelben Haaren ist. Dazu konnte ich mir beispielsweise absolut nichts anderes vorstellen als einen extremen Pitchgesang. Der Text von Markus dazu ist auch sehr lustig. Bei diesen Songs war die Entscheidung also sehr einfach. Ich glaube letztendlich hängt es auch sehr viel von der Stimmung des Songs ab, ob es beispielsweise etwas distanzierter klingen soll, oder direkter. Ich vermische diese Stilelemente auch zunehmend immer mehr, und die Songs bekommen durch verschiedene Gesangsebenen auch mehr Tiefe. Letztendlich macht es mir aber einfach Spass mich mit variantenreichen Vocals auseinanderzusetzen. Beim letzten Song, 'Whatever Mattered' habe ich aber auch schon auf eine mögliche Liveumsetzung Rücksicht genommen. Wir werden diesen Song auch in unser Live Set aufnehmen.
 
Mit eurem letzten Album 'Crossroads' wurde die umfangreiche 'Lost Alone'-Trilogie, die ihr auf euren bisherigen Alben erzählt habt, ja erst einmal beendet. Werdet ihr diese Thematik vielleicht auf einem neuen Album noch einmal aufgreifen oder seid ihr mit dieser Geschichte 'fertig' und wendet euch nun nur noch anderen Themen zu wie auf eurem aktuellen Album? Denn in einem Interview, das ihr dem 'Release'-Magazin während des Arvika-Festivals gegeben habt, klang es ja noch so, als würde ein neues Album die bisherige Geschichte fortsetzen sollen?
Stefan: Nach Arvika war noch nicht klar, dass R.E.T.R.O unser nächstes Album sein würde. Die Entscheidung, ob wir es als mind.in.a.box veröffentlichen sollten, war da noch nicht getroffen. Insofern bitte ich um Entschuldigung :) Ich weiß nicht, wer das Gerücht in Umlauf gebracht hat, dass unsere Story von mind.in.a.box zu Ende sei, oder nur eine Trilogie ist. Wir hatten immer vor, die Geschichte weiter zu erzählen. Unser fünftes Album wird also tatsächlich direkt dort ansetzen wo Crossroads aufgehört hat.
 
Live konnte man mind.in.a.box noch nicht oft erleben, da es scheint, dass ihr sehr hohe Ansprüche an euch selbst bezüglich der Umsetzung habt. Wird es zu 'R.E.T.R.O' Konzerte oder gar eine Tour geben? Und was dürfen die Hörer hier erwarten?
Stefan: Da bin ich mir nicht ganz sicher. Aus heutiger Sicht glaube ich nicht, dass wir spezielle R.E.T.R.O Konzerte geben werden. Die Songs sind doch sehr unterschiedlich zu unserem 'normalen' mind.in.a.box Stil. Roman, unser Bassist, wäre aber sicher Feuer und Flamme. Aber ich denke es wird bei einigen wenigen Songs bleiben, die wir von R.E.T.R.O auch live spielen werden. Zur Zeit ist nur 'Whatever Mattered' geplant. Für unsere Konzerte brauchen wir auch auf der Bühne recht viel Platz, da wir neben uns vier Personen auch die Visuals präsentieren wollen. Das ist in manchen kleineren Clubs gar nicht so einfach. Wir hoffen aber, dass wir eine ganze Tour zu Stande bringen werden. An uns wird es zumindest nicht scheitern. We are ready. :)