mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Gothic Magazine 49/2005', Interviewer:'Claudia Frickel', about: 'Dreamweb', Date: 2005-07-01
 
Link: Gothic Magazine 49/2005
 
Euer Debütalbum wurde - zu Recht - sehr hoch gelobt und hatte Riesenerfolg. Hat Euch das damals überrascht? Wie hat sich Euer Leben verändert seit 'Lost Alone'?
Vielen Dank! Auf jeden Fall war dieser Erfolg für uns nicht vorhersehbar und eine sehr schöne Überraschung. Wir wussten damals nicht, wie unsere wahrscheinlich doch sehr eigenständig klingende Musik ankommen würde. Mind.in.a.box sitzt sozusagen zwischen den Stühlen. Diesen Satz bekamen wir damals auch von einigen A&R Leuten zu hören und umso schöner war für uns dann dieser tolle Erfolg mit dem Debütalbum. Seit „Lost Alone“ konzentrieren wir uns sicherlich noch intensiver auf mind.in.a.box. Dieses Projekt ist bei uns zu einem allgegenwärtigen Thema geworden und gar nicht mehr wegzudenken. Es bleibt in unserer Freizeit kaum noch Zeit für anderes, da wir beide berufstätig sind.
 
Wenn man als Debütwerk solch einen Meilenstein abliefert: Kann man das überhaupt noch toppen? Habt Ihr Euch beim Nachfolge-Album unter Druck gefühlt - um Erwartungen zu erfüllen, einen ähnlichen Erfolg zu haben usw?
Für uns persönlich glaube ich, dass dieser Druck mehr von außen gesehen wird. Wir selbst versuchen, unsere Energie auf das Wesentliche und damit die eigentliche Musik zu konzentrieren. Wir versuchen, unseren Weg weiterzugehen, ohne viel darüber nachzudenken ob wir bestimmte Erwartungen erfüllen oder nicht. Wir machen diese Musik, weil wir es gerne machen und davon überzeugt sind, nicht weil wir in bestimmte Schubladen passen wollen. Ein Vorteil für uns ist sicher auch, dass wir mit mind.in.a.box eine fortlaufende Geschichte erzählen. Insofern verlieren wir nicht den Faden dabei und können uns - msh auf textlicher, und ich auf musikalischer Ebene - sehr gut orientieren wie es weitergehen wird. Das Gesamtkonzept von mind.in.a.box bildet nicht nur den Hintergrund für einzelne Alben, sondern verbindet auch die Alben untereinander. Wir kippen da beide auch sehr in unsere eigene Geschichte rein, und das gibt ungemein Motivation diese Story weiterzuerzählen. Jetzt sind wir natürlich aber trotzdem wieder sehr gespannt, wie unser neues Album „Dreamweb“ ankommen wird. Persönlich sind wir damit sehr, sehr zufrieden.
 
Wie ist das neue Album entstanden - wie lange habt Ihr daran gefeilt, was war anders als beim Debüt?
Wir haben schon vor dem Release von „Lost Alone“ begonnen, an „Dreamweb“ zu arbeiten, insgesamt waren wir etwas über ein Jahr intensiv damit beschäftigt. Verglichen mit dem Vorgänger, sind die Songs auf „Dreamweb“ durch die kürzere Arbeitsdauer sicher etwas stärker aufeinander abgestimmt. Es kommt mir selbst etwas stringenter und noch mehr auf den Punkt gebracht vor. Ich empfinde die erzeugte Atmosphäre als in sich sehr stimmig. Textlich sind wir in Bezug auf unsere Hintergrundgeschichte um mind.in.a.box auch noch etwas direkter geworden, obwohl es für uns wichtig ist, dass die Geschichte in den eigentlichen Songs nur skizziert wird und genug Spielraum für eigene Interpretationen bleibt. Aber wir nennen jetzt zum Beispiel in dem Song „Reflections“ einen Protagonisten auch erstmals direkt beim Namen. Musikalisch wollte ich diesmal in einigen Songs weg von den geradlinigen Drums, um mehr Abwechslung hineinzubringen. Ein paar echte Gitarren haben sich auch noch eingeschlichen, der Kern bleibt aber nach wie vor sehr elektronisch. Im Grunde genommen ging die Arbeit nach „Lost Alone“ fließend in „Dreamweb“ über.
 
Wie würdet Ihr Eure musikalische Entwicklung beschreiben - gibt es andere, neue Einflüsse oder Richtungen?
Auf „Dreamweb“ sind die Gitarren sicherlich ein wesentliches neues Element, das es in dieser Form auf dem letzten Album noch nicht gab. Der Sound wirkt nun stellenweise auch etwas rauer. Beispielsweise in dem Song „Dead End“, der für mind.in.a.box ungewöhnlich hart zur Sache geht. Ich mag aber auch „weichere“ Songs wie „Change“ auf „Lost Alone“ sehr, und so hat auch dieser Stil auf „Dreamweb“ seinen Platz gefunden. Die Drums gingen, wie schon erwähnt, etwas weg von geradlinigen Beats. Beeinflusst wird man sicher von sehr vielen Dingen, ich höre privat sehr Unterschiedliches. Ich würde aber fast behaupten, dass ich eher weniger aus der elektronischen Musikecke beeinflusst werde, sondern wahrscheinlich mehr aus anderen Sparten.
 
Was ist eigentlich ein 'Dreamweb'?
Wir verstehen unter dem Begriff „Dreamweb“ eine Metapher für sehr vielschichtige Dinge, aber in der Hintergrundgeschichte von mind.in.a.box bezeichnet es in erster Linie einmal eine Art Parallelwelt der Träume. In dieser Science Fiction-artigen Welt sind alle Träume vernetzt und beeinflussen die „reale“ Welt auf vielfältige Weise. Diese zweite Ebene kam auch schon in „Lost Alone“ vor, auch wenn sie dort noch nicht beim Namen genannt wurde.
 
Die Texte spielen eine wichtige Rolle bei Euch. Was ist wichtiger - Sound oder Lyrics? Und was entsteht zuerst? Was inspiriert Euch ganz generell?
Ich denke, dass der Sound bei unserer Art von Musik zuerst einmal wesentlich dafür verantwortlich ist, ob jemand etwas mit einem Song anfangen kann, oder nicht. Generell finde ich, dass Musik und die dadurch vermittelten Emotionen prinzipiell auch für sich alleine stehen können müssen. Danach beginnt man sich dann aber oft für die Inhalte zu interessieren. Die Lyrics, die sowohl unsere emotionalen Inhalte konkretisieren, als auch unsere Geschichten erzählen, sind uns sehr wichtig. Ich finde auch, dass ein Song schlagartig an Kraft verliert, wenn die Lyrics schlecht sind. Für uns muss hier einfach beides stimmen, damit wir selbst zufrieden sein können. Wir haben keine fixe Arbeitsreihenfolge, das ergibt sich je nach Song ganz individuell. Aber vor allem starten wir mit einer ganz bestimmten Vorstellung, was ein Song vermitteln soll, und arbeiten dann sowohl auf musikalischer als auch textlicher Ebene daran, genau dies zu vermitteln.
 
Gibt es ein Grundthema auf dem Album? Auf dem Debüt spielte ja die Einsamkeit bzw Isolation eine große Rolle (oder?).
Im zweiten Album spielt generell das Ausbrechen oder Entkommen in eine Welt vernetzter Träume, dem Dreamweb, eine ganz wesentliche Rolle, und in vielerlei Hinsicht ist das auch im übertragenen Sinne die direkte Fortsetzung der Auseinandersetzung mit Einsamkeit und Isolation. „Dreamweb“ dreht sich um die Wichtigkeit unserer Träume, die Möglichkeit damit mit anderen Menschen verbunden zu sein. Es geht um Träume, die man schon längst aufgegeben hat, oder die man zu vergessen sucht, und letztendlich die Wichtigkeit, seine Träume nicht aufzugeben und sie eines Tages zu verwirklichen.
 
Wie schon bei 'Lost Alone' ist die Musik sehr vielschichtig, und auch die Stimmen sind sehr variabel. Warum ist Euch das wichtig? Singt Ihr alle Vocals selbst ein? Die Vocals bei 'The Dream' klingen ja z.B. anfangs ganz anders als bisher.
Ja, ich singe alle Vocals selbst ein. Die menschliche Stimme, auch wenn sie verzerrt wird, ist einfach das vielseitigste und ausdrucksstärkste Instrument. Insgesamt wollen wir auf jedem Album den Hörer immer wieder überraschen. Unterschiedliche Vocals lockern unsere doch sehr komplex arrangierte Musik sicher auch etwas auf. Ich passe den Sound der Stimme der Stimmung des Songs an, damit die beiden miteinander harmonieren. Bei manchen Songs halte ich sogar komplett künstliche Stimmen für besser geeignet; Vocoder-artige Vocals haben einen ganz eigenen Charme. Ich will mich hier aber nicht festlegen lassen. Für unsere Science Fiction-artigen Stories ist auch ein wichtiger Punkt, dass sich unterschiedliche Stimmen sehr gut eignen, um mehrere Erzählebenen zu erzeugen und Situationen darzustellen.
 
Welches Stück auf dem Album bedeutet Euch am meisten oder alternativ: Hat Euch am meisten Probleme bereitet?
Der Song mit der größten Bedeutung ist für mich meist jener, der zuletzt fertig wurde. Die letzten beiden Songs auf Dreamweb waren „Dead End“ und „Lament for Lost Dreams“. Insbesondere letzteres hat für „Dreamweb“ sicher eine ganz wichtige Bedeutung. Der Song mit den meisten Problemen war „Machine Run“. Die erste Version dieses Songs war sehr geradlinig, auch weil ich musikalisch die Aussage des Titels unterstreichen wollte. Wir bauten dann aber immer mehr daran um, sowohl an der Musik als auch den Lyrics. Wir müssen mit einem Song wirklich vollkommen zufrieden sein, bevor wir ihn abschließen. „Machine Run“ ist für uns beide letztendlich auch zu einem unserer Lieblingssongs auf Dreamweb geworden.
 
Ich habe den Eindruck, dass 'Dreamweb' immer noch unverkennbar mind.in.a.box ist, dass Ihr aber zum Teil clubtauglicher und härter geworden seid - zum Beispiel bei 'Dead end'. Stimmt Ihr zu?
Ja, da stimme ich dir zu! Die Erzählperspektive einiger Songs auf „Dreamweb“ wird immer mehr zu der des Verfolgers, der schon auf „Lost Alone“ zu hören war. Dies wollten wir auch akustisch umsetzen. Es hängt aber sehr stark davon ab, was wir in einem bestimmten Song vermitteln wollen. Die Aggressivität in „Dead End“ drückt den emotionalen Stress einer Verfolgungsjagd aus, die vollkommen unerwartet eine gefährliche Wendung nimmt.
 
Eure Musik und Eure Lyrics wirken sehr ausgereift. Seid Ihr Perfektionisten - auch im 'echten' Leben?
Vielen Dank! Auf mind.in.a.box trifft das auf jeden Fall zu. Wir haben eine sehr genaue Vorstellung von dem, was wir umsetzen und vermitteln wollen, und wir arbeiten solange an einem Song bis wir wirklich vollkommen zufrieden sind. Ich würde aber nicht behaupten, dass wir in allen Bereichen des Lebens Perfektionisten sind. Sagen wir so, bei Dingen, an denen unser Herz hängt auf jeden Fall, in anderen Bereichen kann man dann mehr relaxen.
 
Das Cover von 'Dreamweb' ist ähnlich wie 'Lost Alone' und die Single 'Certainty' ganz blaugrau gehalten, es vermittelt den Eindruck von Kälte und Isolation. Stimmt Ihr zu, und wie kam es zu diesem Stilmittel? Und wie steht es in Zusammenhang zum neuen Album?
Das Konzept von mind.in.a.box stellt eine Metapher für gewisse Aspekte unserer echten Welt dar, die in einer Science Fiction-artigen Welt dargestellt wird. Für uns ist diese Welt von mind.in.a.box eine Mischung aus Kälte und Wärme, aus Melancholie und Hoffnung. Aber die Schattenseiten wie Einsamkeit und Isolation sind ein ganz wesentlicher Punkt, den wir thematisieren wollen.
 
Es heißt, Ihr hasst Interviews und schätzt Eure Anonymität sehr. Warum eigentlich?
Nein das stimmt so nicht. Ich würde in gewisser Weise schon lieber an meinen Geräten sitzen, um Musik zu machen, aber andererseits freut es einen natürlich sehr, danach gefragt zu werden. Ich denke, das gehört einfach dazu. Insgesamt wollen wir aber vor allem die eigentliche Musik und Inhalte in den Vordergrund stellen und nicht uns als Personen.
 
Könnt Ihr Euch demzufolge auch nicht vorstellen, mit mind.in.a.box auf Tour zu gehen?
Ich will das nicht für immer und ewig ausschließen, aber im Moment haben wir keine Live Auftritte geplant.
 
Eure Hoffnungen und Pläne für die Zukunft? Arbeitet Ihr schon an neuem Material?
Im Moment arbeite ich an ein paar eigenen Remixen von Songs auf „Dreamweb“. Im Album Booklet gibt es wieder einen Code für einen speziellen Bereich unserer Webpage, auf der dann ab 30. Mai 2005 exklusives Material zum Download steht. Die Arbeiten für das dritte Album haben auch schon wieder begonnen. Darauf wird man aber noch etwas warten müssen.