mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Negatief 04/2007', Interviewer:'Gert Drexl', about: 'Crossroads', Date: 2007-07-13
 
Link: Negatief 04/2007
 
Musikalisch bewegst Du Dich im weiten Feld von EBM, Techno bis Drum and Base. Kann moderne elektronische Musik überhaupt innerhalb von stilistischen Grenzen existieren?
Ich denke, man darf diese Grenzen vor allem als Musiker nicht so eng sehen, und ich habe dem bisher eigentlich auch keine große Bedeutung beigemessen. Wir wussten lange Zeit selber nicht welche Art von Musik wir machten, bis man uns sagte es sei Electro oder Technopop. Diese Einteilung in Musiksparten können Musikjournalisten ohnehin besser. Die Musiker sollten nicht nach Stilgrenzen Musik machen, denn dann wäre sie wahrscheinlich nicht mehr ehrlich.
 
Mit welcher Musik bist Du selbst groß geworden ? In welcher Tradition siehst Du Dich?
Angefangen hat alles mit dem Commodore 64. Der hatte für Computer behaupte ich mal den besten Soundchip. Das war damals neu und furchtbar aufregend. Ich schaute ständig irgendwelche Demos. Das sind mit Musik untermalte, programmierte grafische Abläufe in Echtzeit. Mit dem C64 begann ich dann am Computer Musik zu machen, das war vor mehr als 20 Jahren, und seitdem ließ mich die elektronische Musik nicht mehr los. Ich hatte damals gar nicht das Geld mir sündteure Synthesizer zu kaufen, und so versuchte ich alles aus den Soundchips der Computer herauszuholen. Irgendwann begannen wir schließlich selbst Spiele zu entwickeln. Markus programmierte, ich steuerte die Musik bei. Unser größtes Projekt hieß „Parsec“, an dem wir etwa fünf Jahre lang arbeiteten. Ich kannte die meisten Electrobands in dieser Szene vor 5-6 Jahren gar nicht. Markus war da mehr involviert als ich.
 
Dein neues Album heisst Crossroads. Was sind für Dich die wichtigen künstlerischen Weggabelungen gewesen ?
Die größte war sicherlich der Sprung aus der Computermusik-Ecke in die professionelle elektronische Musik mit dem ersten mind.in.a.box Album. Ich behaupte mal kompositorisch war das weniger ein Problem als produktionstechnisch, und so dauerte es wohl ein Jahr länger bis alles wirklich klangtechnisch auf dem Stand der Zeit war. Ich stieg von dem reinen textbasierten Midi-Sequenzer den Markus eigens für mich schrieb auf einen aktuellen Sequenzer um und produzierte im Prinzip alles neu. Aus künstlerischer Sicht ist unser neues Album auch ein sehr großer Sprung gewesen, und ich bin persönlich mit Crossroads zufrieden wie noch nie. Da steckt wirklich sehr, sehr viel Arbeit drin.
 
In Anzeigen Deiner Plattenfirma, aber auch im Booklet und in den Songs wird eine zusammenhängende Story erzählt. Lüfte doch einmal ein paar der Geheimnisse.
Wir wollten dieses Mal unbedingt eine erzählte, geschriebene Story im Booklet haben, wo wir mehr Details erzählen können als in den Lyrics. Der Protagonist aus dem letzten Album steht auch diesmal im Mittelpunkt. Verfolgte er auf Dreamweb noch die Sleepwalkers hat sich das Blatt aber nun scheinbar gewendet, und er hat Zweifel auf wessen Seite er eigentlich steht. Mehr will ich hier nicht verraten.
 
Gibt es nachhaltige Erlebnisse, die dich zu Crossroads inspiriert haben ?
Das Hauptthema dieses Albums ist der Identitätsverlust von unserem Protagonisten bzw. alle Facetten davon. Es geht um die Frage wer man eigentlich selbst ist und wer man zu sein glaubt. Klar inspirieren einen auch immer persönliche Dinge, die dann wiederum in die Musik einfließen. Am meisten inspiriert mich persönlich aber die Musik selbst.
 
Wer ist für die weibliche Stimme verantwörtlich ?
Unser Autor für die Story im Booklet, Andreas Gruber, ein guter Freund von uns, war furchtbar enttäuscht als er die Wahrheit über diese Stimme erfuhr. Er stellte sich wohl eine unglaublich gut aussehende Frau vor die nackt eingesungen hat. Ich musste ihn leider damit enttäuschen, dass es meine eigene, mit einem Gerät verfremdete Stimme ist. Es tut mir echt leid!
 
Mind in a box wird oft vorgeworfen, für die Tanzfläche zu verkopft zu arrangieren. Geht Dir das prinzipielle tanzflächendiktat für elektronische Künstler auf die Nerven ?
Ich glaube man sollte da offener werden und nicht alles stur nach Plan für den Club machen. Mir persönlich ist das zu langweilig. Die Leute wollen das insgeheim denke ich auch gar nicht. Die sind meiner Meinung nach offener als man glaubt. Ein paar Sachen muss man natürlich berücksichtigen, wenn man versucht einen clubtauglichen Song zu machen, aber ich sehe das eigentlich nicht so eng.
 
'The Place' transferiert Pianoklänge in jenseitige Flächen und stellt eine Art Bruchkante im Album dar. Wie würdest Du die Dramarturgie von Crossroads in wenigen Zeilen skizzieren ?
Das Album empfinde ich als sehr dicht ohne Songfüller oder dergleichen, und ich kann auch kaum einen Song einzeln hervorheben. Amnesia und Fear sind zwei ruhigere Songs im Stil wie z.B. Change oder Lament for Lost Dreams aus den vorherigen Alben. Heftiger wird es bei Into the Night, Identity oder gegen Ende der Song Crossroads. What Used to Be ist für mich eine Art Opus und künstlerisch sehr wichtig. Der Song dauert fast acht Minuten und baut sich bis zum Ende hin immer mehr auf. Prinzipiell versuchen wir immer die Trackliste auch unserer Storyline anzupassen. Der Song Amnesia muss beispielsweise zeitlich vor Into the Night kommen. Beide Songs sind auch für die Story sehr wichtig. The Place ist wirklich als eine Art musikalische Trennlinie gedacht und leitet das letzte Drittel des Albums ein, wobei der letzte Track thematisch wiederum schon eine Überleitung zum nächsten Album darstellt.
 
Sämtliche Stimmen, die auf dem Album zu hören sind, wurden intensiv manipuliert. Würde für Dich eine natürliche Stimme bei einem Mind in A Box Song deplaziert wirken ?
Das würde ich so nicht sagen, bei etwa der Hälfte der Songs auf Crossroads ist meine natürliche Stimme im Einsatz. Aber du hast schon Recht, ich mag Vocoder-artige Stimmen sehr, und sie passen einfach perfekt zu mind.in.a.box, zu unserer Musik, zur Story. Ich mag die Abwechslung, die man durch den Einsatz verschiedener Stimmen erzielen kann.
 
Ist Dir dieses hauptsächlich synthetische Klangbild wichtig ?
Ja, das ist mir bei mind.in.a.box sehr wichtig. Es steht für unser Projekt, unseren Stil, und es wäre wohl deplatziert wenn wir plötzlich wie eine Gitarrenband klingen würden. Nichts desto trotz mache ich auch gerne über den synthetischen Sinn hinaus Musik, und es wird diesmal für die Albumkäufer auch wieder wie bei unserem ersten Album einen „acoustic.flavor“ Remix eines Stückes geben. Diese Dinge sind Teil der „hidden-area“ auf unserer Webpage. Ich höre überhaupt sehr viel nicht-elektronische Musik, aber ich denke meine Heimat ist und bleibt die elektronische Musik. Dieses Science Fiction Feeling mit den Melodien und Sequenzen, die kein Mensch wirklich nachspielen könnte, faszinieren mich. Theoretisch kann man ja alles nur denkbare in der elektronischen Musik machen, und das ist für mich aus künstlerischer Sicht ungemein spannend.
 
Der Name Mind in Box spiegelt die Einsamkeit und das Eingesperrtsein der einzelnen Seele wider. Fühlst Du Dich selbst eingesperrt ? Gibt es Abstufungen ?
Es gibt viele Dinge bei denen man sich eingesperrt fühlen kann. Ich habe mir immer schwer getan, aus mir selbst heraus zu kommen, und insofern fühle ich mich eingesperrt. Hier war immer die Musik mein Ventil, und das mit diesem Projekt zu vereinbaren ist eigentlich perfekt. Wir bekommen sehr oft Emails von Leuten denen unsere Musik geholfen hat, ihrer Einsamkeit zu entfliehen, und das ist für uns dann schon ein sehr großes Kompliment. You are not the only one, lost alone in this world.
 
Menschen die an einem Locked In Syndrom litten, könnten Deine Sichtweise als die selbstmitleidvolle Vision eines introvertierten Knöpfchendrehers empfinden. Was entgegnest Du ?
Keiner ist wohl so sehr „mind in a box“ wie Menschen die an so etwas leiden. Ein bisschen Wahrheit steckt da schon drin.
 
Liegt die große Anonymität und Sprachlosigkeit von Heute nicht zum größten Teil an dem Medium mit dem du selbst Musik machst ?
Einerseits stimmt das, andererseits habe ich damit sehr viele Leute kennen gelernt. Anonymität schätze ich sehr, doch ich benutze lieber das Telefon, bevor ich eine SMS tippen muss. Ich denke, es kommt darauf an, wie man die Mittel der Technik einsetzt.
 
Lässt sich dieses fundamentale Alleinsein nicht durch das Erlernen der Kommunikation aufbrechen ? Ist Emotionalität nicht eine weitaus effektivere Kommunikation als die Verbale ?
Das ist wohl für viele leichter gesagt als getan. Klar, ich denke auch, dass Emotion die ehrlichere Art der Kommunikation ist, da es ja eine spontane Reaktion ist. Eine Kommunikation über Emotionen ist besonders gut in der Kunst möglich, aber Musik ruft zuhörerbedingt ja unterschiedliche Reaktionen hervor.
 
Du selbst trittst persönlich kaum in Erscheinung. Warum möchtest Du im Hintergrund bleiben ?
Nun, wir sind selbst zu sehr minds in a box für eine „normale Band“, und wir wollen die Musik und unsere Geschichten in den Vordergrund stellen. Vielleicht kommt aber noch der richtige Zeitpunkt für Livekonzerte oder Ähnliches. Wir bekommen laufend Anfragen dafür. We will see.
 
Deine Plattenfirma wird bald ihre Pforten schließen. Wie wird es dann weitergehen ? Was möchtest Du den unzähligen Kopierern entgegnen ?
Es ist sehr schade, dass Dependent Records beschlossen haben aufzuhören, nichts desto trotz muss man die Entscheidung respektieren. Wir haben dem Label und Stefan Herwig sehr viel zu verdanken und haben sehr viel zusammen erreicht. Mit dem Debütalbum auf Platz 1 in den DAC Charts und dem Folgealbum auf Platz 2, das kann sich glaube ich sehen lassen. Wir werden sicherlich weiterhin Musik machen und veröffentlichen. Wo wissen wir noch nicht, aber bis dahin ist ja noch Zeit. Es ist wohl eine schwierige Zeit um mit Musik noch Geld verdienen zu können, und ich fürchte es wird in Zukunft auch nicht einfacher werden. Ich kann nur hoffen, dass Musik ihre Wertigkeit und den Respekt der Hörer zurückbekommt. Vielleicht bin ich selbst schon zu alt, um dieses Raubkopierproblem komplett zu verstehen. Ich kaufe mir einfach lieber ein physikalisches Medium, als ein mp3 file. Schon alleine deswegen, um nicht nach einem Festplattencrash ohne Musik dazustehen, denn dafür sollte einem die Musik, die einem den CD-Kauf wert sein sollte zu wichtig sein.